Wer das Vergnügen hatte, das Stadtbild von Neuf-Brisach – oder eben Neu-Breisach aus der Luft zu betrachten, wird davon begeistert sein: Ich gebe es zu, es war mir noch nicht vergönnt, die wohl am besten erhaltene Festungsanlage aus dem 17. Jahrhundert aus der Vogelperspektive zu betrachten. Die zahlreichen Störche im Elsass haben mir dies vor und gleichzeitig bin ich ihnen nicht neidisch, bei Wind, Regen und anderem Wetter auf einem ungeschützten Hochkamin «wohnen» zu müssen. Die Horste sind zwar eindrücklich, aber ein Dach über dem Kopf wäre wohl schon nicht zu verachten.
Neuf-Brisach ist eine von insgesamt 160 Anlagen, an welchen der wohl grösste Meister der Befestigungskunst Hand anlegte. Sébastien Le Prestre, Seigneur de Vauban (1633–1707), war der Festungsbaumeister des «Sonnenkönigs» Ludwig XIV., selbstredend mit dem späteren Grad eines Marschalls von Frankreich. Acht seiner besterhaltenen Werke[1] wurden 2008 von der UNESCO ins Inventar des Welterbes unter dem Titel «Les Fortifications de Vauban» aufgenommen. Neuf-Brisach gehört selbstverständlich dazu.
Nachdem das stark befestigte Breisach wie das benachbarte Elsass im 17. Jahrhundert von Frankreich annektiert worden war, musste ersteres 1697 nach dem Frieden von Rijswijk[2] wieder an Österreich zurückgegeben werden. So wurde für Frankreich eine neue Grenzbefestigung am Rhein notwendig. Ludwig XIV., beauftragte deshalb Vauban mit dem Bau einer Gegenfestung zur deutschen Reichsfestung Breisach. Dieser errichtete 1699 bis 1703 die damals grösste Befestigungsanlage nach dem Muster einer barocken Reissbrettsiedlung.
Die Schaffenskraft dieses Festungsingenieurs ist unglaublich. Seine Konzeptionen wurden in den unterschiedlichsten Geländeformen im Grundsatz übernommen und angepasst. Mit Festungsanlagen beschäftige ich mich eher im Nebenfach: Starres ist unflexibel und widerspricht meiner Überzeugung, dass nur Flexibilität erfolgversprechend ist. Vauban hat damals die Befestigungstechnologie revolutioniert – als Antwort auf damals bekannte Bedrohungsformen. Wohl hat er und später seine Nachfolger immer wieder aus Erkenntnissen Anpassungen angebracht, aber unter dem Punkt war es auch ihm nie vergönnt, die Entwicklung der Waffentechnologie vorauszuahnen und proaktive Lösungen zu finden. Das ist lediglich eine Feststellung im historischen Bewusstsein, dass sich Armeen immer für vergangene Kriege rüsteten und dann von Neuerungen schmerzlich überrascht wurden.
Die Bewertung von Festungsanlagen fällt unterschidlich aus: während der grosse Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz befestigte Anlagen für unersetzlich hält, verurteilte der US-General George S. Patton „Starre Befestigungen als Monumente menschlicher Dummheit.“
Den nächsten Krieg «denken» ist anspruchsvoll, die daraus resultierenden Konsequenzen zur passenden Antwort «umzusetzen» und «bereit zu sein» ist wohl ein Ding des in Demokratien nirgends vorhandenen «politischen Mutes».
Anmerkungen
[1] Zitadelle von Arras; Zitadelle, Stadtmauer und Fort Griffon in Besançon; Zitadelle von Blaye, Fort Paté auf einer Insel in der Gironde und die Zitadelle von Cussac-Fort-Médoc; Festungssystem von Briançon (Stadtmauer, vier Forts, Signalturm und Brücke); Tour dorée (goldener Turm) in Camaret-sur-Mer; Befestigte Oberstadt von Longwy; Befestigte Stadt Mont-Dauphin; Mont-Louis, bestehend aus Zitadelle und befestigter Stadt; Befestigte Stadt Neuf-Brisach; Festung Saint-Martin-de-Ré mit Stadtmauer, Hafen und Zitadelle; Saint-Vaast-la-Hougue: Türme und Befestigungen in Saint-Vaast-la-Hougue und auf der benachbarten Insel Tatihou; Fort Libéria, Stadtmauer und die befestigte Höhle Cova Bastera in Villefranche-de-Conflent
[2] Der Frieden von Rijswijk ist das 1697 unterzeichnete Vertragswerk, mit dem der Pfälzische Erbfolgekrieg beendet wurde. Vertreter der Wiener Grossen Allianz – des Kaisers und einiger Reichsstände des Heiligen Römischen Reichs, Dänemarks, Schwedens, Savoyens, Spaniens, Englands und der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen – sowie Gesandte Frankreichs einigten sich in Verhandlungen, die auf Huis ter Nieuburch in Rijswijk, Provinz Holland, unter der Moderation des schwedischen Gesandten Nils Lillieroot geführt wurden. Die Bestandteile des Vertragswerks wurden zwischen dem 20. September und 30. Oktober 1697 unterzeichnet. (Wikipedia).